Entwicklungszusammenarbeit in Guatemala setzt sich zum Ziel, auf lokaler Ebene gegen die stark ausgeprägten wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen, gesellschaftlichen und politischen Disparitäten im Land vorzugehen – ganz im Sinne eines breit gefassten Nachhaltigkeitsbegriffs. So auch das Landesprogramm der Schweizer Hilfswerke Fastenaktion und HEKS, das in Guatemala von Frau Inés Pérez koordiniert wird.
Johanna Feil
Am vergangenen Dienstag durften wir Frau Pérez an der Kantonsschule Kreuzlingen begrüssen und in ihrem Vortrag in der voll besetzten Aula einen vielseitigen Einblick in die Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit in Guatemala erhalten. Inés Pérez gehört der Minderheit der Maya Quiché an und arbeitet mit verschiedenen Partnerorganisationen zusammen, die vor Ort Projekte betreuen, unter anderem in den Bereichen Ernährungssicherung, Stärkung von Frauen sowie Aktivitäten im Kampf gegen die Diskriminierung Indigener. Die Klasse 26Mc durfte im Anschluss an den Vortrag noch eine spannende Diskussionsrunde mit Frau Pérez erleben.
Die Schönheit des Landes zwischen zwei grossen Weltmeeren, die spektakulären Naturlandschaften mit ihren vielen, teils aktiven Vulkanen und ihrer üppigen tropischen Vegetation stehen als prächtige Bilder im starken Kontrast zu denen von Armut und gesellschaftlicher Spannungen in der Bevölkerung des Landes. Und so vielseitig die Probleme des Landes sind, so vielseitig präsentieren sich auch die Entwicklungsprojekte, die Pérez in ihrem Vortrag skizziert: Einerseits packt die Entwicklungszusammenarbeit bei der Ernährungssicherung an, um die hohe Armutsquote im Land zu senken, andererseits setzt sie es sich zum Ziel, zwischen den gesellschaftlichen Fronten zu vermitteln. Einerseits geht es um die Implementierung agroökologischer Anbautechniken, die Einbindung traditionellen Knowhows in moderne, nachhaltige Konzepte der Landwirtschaft, andererseits um die Förderung von Bildung und um die Etablierung einer gesellschaftlich-politischen Partizipation über ethnische und soziale Grenzen hinweg.
Manchmal ist es gar nicht leicht, Pérez‘ facettenreichem Vortrag zu folgen, so vielfältig und komplex scheinen die Probleme zu sein, die das Land herausfordern. Als zentral tritt die Frage nach Identität in ihren Ausführungen hervor: Vielen, vor allem jungen Menschen, fällt die Gratwanderung zwischen indigenem Erbe und spanisch-geprägter Identität nicht leicht, sie versetzt so manche in tiefe Krisen. Auch hier setzen die Entwicklungsprojekte von Fastenaktion und HEKS unterstützend an, mit dem Ziel, Menschen ein freies und selbstbestimmtes Leben jenseits der kulturellen und spirituellen Unterschiede zu ermöglichen. Ein weiterer Schwerpunkt der Projekte ist die Förderung indigener Frauen, die durch Unterstützungsangebote und Ausbildungsprogramme selbstbestimmter und finanziell unabhängiger werden und sich und ihre Familien im Idealfall aus der absoluten Armut befreien können.
Neben all diesen bestehenden Aufgaben und Problemfeldern belasten die zunehmend spürbaren Folgen der Klimaerwärmung, wie beispielsweise Extremwetterereignisse und regional erhöhte Klimavariabilität, das Leben der ländlichen Bevölkerung, die vorwiegend von der Landwirtschaft lebt. Auch hier packen die Entwicklungsprojekte an der Basis an und unterstützen die lokale Bevölkerung bei der Umsetzung von Projekten zur Förderung agroökologischer Anbaumethoden zugunsten der Biodiversität.
Grosse Hoffnung setzen die Maya-Communities auf den neu gewählten Präsidenten, der mit seinem Antikorruptionsprogramm auch mit Unterstützung der indigenen Bevölkerung 2023 die Wahlen gewonnen hat. Bis jetzt ist die indigene Bevölkerung in Politik, staatlichen Institutionen und Wirtschaft stark unterrepräsentiert, obwohl sie mehr als 50% der Bevölkerung des Landes ausmacht. Hier besteht grosser politischer Aufholbedarf, genauso in der Bildung und im Gesundheitswesen. Beides ist laut Pérez bis heute nicht allen Menschen gleichsam zugänglich und verschärft die Kluft zwischen Arm und Reich in Guatemala.
Insgesamt ermöglichte der Vortrag einen umfassenden Einblick in die Komplexität der Probleme des Entwicklungslandes Guatemala, woraus vielfältige Aufgabenbereiche für eine nachhaltige Entwicklung hervorgehen. Besonders spannend war es für die Schülerinnen und Schüler, im Vortrag und vor allem auch in der Diskussionsrunde zu erleben, dass Inés Pérez als «Brücke» zwischen den Kulturen, wie sie sich selbst bezeichnete, den Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen und Sprachgruppen in ihrem Land selbst verkörpert.