Irren ist menschlich

Irren ist menschlich

Mit den KSK-Dialogen startet eine neue Vortrags- und Diskussionsreihe an der Kantonsschule Kreuzlingen. An der ersten Veranstaltung nahm Biologielehrer Witold Ming das Publikum mit auf eine faszinierende Reise durch die mit Mythen versetzte Urgeschichte der Menschheit.

Michael Volkart

Schon seit Jahrtausenden denkt der Mensch über sich selbst und seine Geschichte nach. Doch die wirklich empirische Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst ist – menschheitsgeschichtlich – eine sehr junge Angelegenheit, die in der Neuzeit begonnen hatte und sich vor allem seit dem 19. Jahrhundert intensivierte. Nicht nur religiös-überkommene Vorstellungen zum Menschen mussten im Zuge der Verwissenschaftlichung der Welt verworfen werden, auch die Wissenschaft selbst hatte immer wieder Thesen publiziert, die sich zwar hartnäckig hielten, einer heutigen Überprüfung aber nicht mehr standhalten.

Dies zeigt sich beispielhaft am Neandertaler, einer mit dem heutigen Menschen nahe verwandten, ausgestorbenen Spezies. Wirkmächtig für unsere Vorstellung vom Neandertaler sind Abbildungen, die diesen als gedrungenes und haariges Wesen mit krummer Körperhaltung darstellen und die während langer Zeit auch in Schulbüchern zu finden waren.

Witold Ming brachte verschiedene Schädel als Anschauungsmaterial mit. (Julia Heier)

Aus heutiger Sicht zeigt sich, dass diese Bilder eher der Abgrenzung des Menschen von einem vermeintlich primitiven Verwandten dienten und sich empirisch nicht bestätigen lassen. So lässt sich beispielsweise durch die anatomische Vermessung des Hinterhauptslochs an der Schädelbasis zeigen, dass die Körperhaltung des Neandertalers aufrecht war. Aufrechter Gang und aufrechte Haltung fallen zusammen und treten evolutionsgeschichtlich schon vor der Entstehung des modernen Menschen auf.

Auch in Bezug auf die Gehirngrösse zeigt sich Erstaunliches, verfügte der Neandertaler doch über ein signifikant grösseres Gehirn als heutige Menschen. Gehirngrösse und Intelligenz korrelieren aber nur bedingt, was sich schon daran aufzeigen lässt, dass Frauen heutzutage im Durchschnitt über kleinere Gehirne verfügen als Männer. Beim Blick auf die heutige Tierwelt zeigt sich zudem ein anderer Zusammenhang, nämlich derjenige von Körpergewicht und Gehirngewicht. Ein grosses Gehirn ist – evolutionär betrachtet – nicht nur ein Vorteil, sondern es verschlingt auch Unmengen an Energie. Ein Gehirn stellt in dieser Betrachtungsweise also eine Investition dar, die mit einem hohen Preis kommt.

Mit der Frage der Gehirnentwicklung hängt unweigerlich auch die Frage der Intelligenz zusammen. Sind wir Menschen zumindest in diesem Bereich anderen Spezies überlegen? Die Frage muss zumindest teilweise verneint werden, wie Experimente mit Schimpansen aufzeigen. Die an sie gestellte Aufgabe – das Einprägen der räumlichen Position von bis zu neun Zahlen auf einem Bildschirm – meisterten diese im Durchschnitt weitaus besser als menschliche Probanden. Daraus im Umkehrschluss abzuleiten, dass Schimpansen intelligenter als Menschen sind, ist aber sicherlich ebenso falsch. Vielmehr lädt uns das Experiment dazu ein, unseren Begriff von Intelligenz genauer zu überprüfen.

Die abschliessende Diskussion wurde von Anna Kisters moderiert. (Julia Heier)

Weiteres Nachdenken lohnt sich auf jeden Fall. Denn – auch dies zeigen Studien – das Gehirn ist wie jedes andere Organ trainierfähig. Nutzen wir es zu wenig, so verkümmert es. Eine Aussage, die wir gerade im Hinblick auf die technologische Entwicklung ernst nehmen sollten. Witold Ming lieferte dazu auch gleich noch den prägnanten Merksatz:  «Use it or lose it!» Anlass genug also, um auch beim nächsten KSK-Dialog am 26. Oktober um 9.00 Uhr mit dabei zu sein, wenn KSK-Rektor Dr. phil. Marcello Indino einen Einblick in die Erkenntnisse der Motivationspsychologie gibt.

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