Die Kantonsschule Kreuzlingen war bekanntlich schon in ihrer Vergangenheit bei Innovationen im Unterricht ein «early adopter»: Die erste Englisch-Immersionsklasse und die erste Laptop-Klasse im Kanton zeugen genauso davon wie die MINT-Klasse. Oft waren und sind es neben Entwicklungen innerhalb der Schule auch Anstösse von aussen, welche Neuerungen in Gang setzen: Besonders im Bereich der Informatik jagen sich die (vermeintlichen) Innovationen in der Öffentlichkeit in bisweilen derart horrendem Tempo, dass einem als Beobachter schwindlig werden könnte. Es stellt sich darum nicht nur unserer Schule die Frage, wie mit dieser Tatsache umzugehen ist.
Daniel Hurtado
Dass sich am innovativen Geist der Kanti nichts geändert hat, zeigt das IT-Konzept, das der Konvent vor diesem Hintergrund verabschiedet hat. Es begeht gar nicht erst den Fehler, konkrete Tools oder Technologien zu benennen und zu regulieren. Wie sollte das auch gehen? Man würde dem Stand der Technik nur hinterherhecheln. Die Entwicklungsgeschwindigkeit und wachsende Komplexität von IT-Umgebungen lassen sich indirekt am Speicherplatzbedarf von Windows aufzeigen: Vor 23 Jahren benötigte Windows XP 1.5 GB, acht Jahre später waren es bei Windows 7 schon 20 GB und das aktuelle Windows 11 nimmt die Arbeit erst ab 64 GB freiem Festpattenspeicherplatz auf. Während heute die Künstliche Intelligenz in aller Munde ist, war es zu Zeiten von Windows XP zunächst in Fachkreisen das Cloud Computing – heute so allgegenwärtig, dass kaum noch darüber gesprochen wird.
Langlebige Grundsätze
Vorauszusehen, welche Themen in fünf bis zehn Jahren relevant sein werden, ist unter diesen Umständen höchst herausfordernd bis unmöglich. Diesen Versuch unternimmt unser IT-Konzept deshalb erst gar nicht. Stattdessen formuliert es drei strategische Grundsätze für den Einsatz von IT-Mitteln, die selbst in der schnelllebigen IT-Welt langfristige Gültigkeit haben:
- Datensouveränität: Würden Sie Ihr Tagebuch einem entfernten Bekannten zur Aufbewahrung anvertrauen, den Sie bei Lichte betrachtet gar nicht so richtig kennen? Diese Frage haben wir uns im Zusammenhang mit den Daten unserer Schülerinnen, Schüler und Mitarbeitenden gestellt. Unser Fazit: Die an der KSK erzeugten Daten sollen im Besitz der Erzeuger bzw. der Schulgemeinschaft bleiben. Wir ziehen darum lokal installierte On-Premise-Lösungen rein cloudbasierten Lösungen auf fremden Servern vor: Wenn immer möglich, bewahren wir die «Tagebücher» unserer Schulgemeinschaft bei uns zuhause auf.
- Open Source: Um beim Bild zu bleiben: Tagebücher schreiben wir mit handelsüblicher Tinte. Kaum jemand würde in Erwägung ziehen, eine Geheimtinte zu verwenden, die nur unter der Spezialbrille des Herstellers lesbar wird. Was, wenn die Brille nach Jahren kaputt oder gleich der Hersteller Konkurs geht? Aus ähnlichen Überlegungen geben wir bei gleichwertiger Funktion Open Source Software (OSS) und offenen Dateiformaten den Vorzug. Weil deren Programmcode öffentlich und kein Betriebsgeheimnis ist, bleiben die Daten so unabhängig von einem bestimmten Hersteller auch nach langer Zeit noch lesbar. Gleichzeitig ist das im Sinne der oben erwähnten Datensouveränität zentral: Ein unlesbares Tagebuch ist auch bei sorgfältigster Aufbewahrung wertlos.
- Plattformoffenheit: Aus Gründen der Innovationsförderung legen wir uns nicht auf einzelne Plattformen fest. Das ermöglicht es, für jede Aufgabe das jeweils beste Tool einzusetzen, solange die Interoperabilität mit unseren anderen Systemen möglich ist. Vielleicht möchten wir unser Tagebuch in ein paar Jahren ja doch noch durch einen Computer ersetzen, ohne alle alten Einträge zu verlieren …
Bewährungsprobe KI
Quelloffene Software, bei der Programmiercode einer breiten Gemeinschaft zur Kontrolle und Verbesserung offen steht, erfüllt die Kriterien des IT-Konzepts also in vielen Fällen. Dementsprechend zahlreich sind die Beispiele für an der Schule eingesetzte OSS. So verwenden wir unter anderem ILIAS als Lernplattform, Nextcloud mit Collabora dient als vollwertige und datensouveräne Alternative zu Google Drive und Google Docs, Videokonferenzen halten wir auf Big Blue Button und im Hintergrund verrichten zahlreiche mit Cockpit und Ansible verwaltete Debian-Server ihren Dienst. Es war für die Kantonsschule Kreuzlingen darum folgerichtig, unseren breiten Einsatz von OSS im Schulalltag in der Open Source Studie Schweiz 2024 in einem Portrait aufzuzeigen. Die Studienergebnisse bestätigen für die Schweizer Unternehmenswelt, was auch an unserer Schule gilt: OSS ist allgegenwärtig. Im Sinne der erwähnten Plattformoffenheit und einem pragmatischen Nebeneinander hat Closed Source Software jedoch trotzdem ihren festen Platz in unserer IT-Umgebung. Diese bleibt weiterhin in die Microsoft-basierte Struktur auf dem Campus eingebunden.
Dass sich die drei Kriterien im IT-Konzept der KSK wie erhofft tatsächlich zum Umgang mit neuen und neusten Entwicklungen eignen, hat seit ihrer Verabschiedung durch den Konvent exemplarisch das Thema KI gezeigt. Gerade beim Einsatz dieser Technologie muss beispielsweise Datensouveränität hochgehalten und nicht gedankenlos persönlichkeitsrechtlich bedeutsames Material hochgeladen werden. Da viele KI-Modelle nicht Open Source Software sind, kann nicht überprüft werden, in welcher Weise einmal hochgeladene Daten ausgewertet und durch den Anbieter weiterverwendet werden. Gleichzeitig sind wir jedoch darauf angewiesen, die besten Technologien einsetzen zu können: Gefragt ist darum ein bewusster und differenzierter Umgang.
Die IT-Entwicklung geht derweil nicht nur bei den grossen Tech-Unternehmen, sondern auch an der Kanti in raschem Tempo weiter. Für die Zukunft haben wir darum bereits konkrete Vorstellungen für den Einsatz von OSS gemäss unseres IT-Konzepts. So arbeiten wir gerade an einem Tool zur Zeiterfassung von Zusatzaufwänden für sämtliche Lehrpersonen mit einer auf REI3 basierenden Low-Code-Plattform gemäss unseren spezifischen Bedürfnissen: Wir basteln unsere Tagebücher mittlerweile selbst.