Die neue Veranstaltungsreihe «KSK-Dialoge» setzte sich am 26. Oktober 2024 in der Werkaula der KSK fort. Rektor Dr. phil. Marcello Indinos Vortrag unter dem Titel «Flowerlebnis und Leistungserfolg – Erkenntnisse aus der Motivationspsychologie» stiess auf grosses Interesse, besonders bei Eltern, die teilweise im Anschluss gleich noch das Lerncoaching-Seminar von Nina Schwab besuchten.
Corina Tobler
Das Wanderwetter im Toggenburg sei gerade hervorragend, betont Marcello Indino zum Auftakt seines Referats. «Da stellt sich mir schon die Frage: Warum sind Sie hier?» Was im Publikum Gelächter auslöst, dient nicht nur der Unterhaltung, sondern trifft gleichzeitig den Kern dessen, was Indino in 45 Minuten Vortrag mit anschliessender Fragerunde vermittelt. Wer an diesem Morgen anwesend ist, ist das höchstwahrscheinlich aufgrund intrinsischer Motivation, aufgrund der Tatsache dass der Frontallappen im Gehirn das Verlangen des Belohnungszentrums nach Wandern oder längerem Schlaf unterdrücken konnte, und aufgrund eines Umfelds, in dem Motivation als wichtiges Thema erachtet wird.
Freiheitsgefühl weicht Angst
Indino illustriert in seinem Vortrag alltagsnah, was Studien aus diversen Forschungszweigen über die Motivation Jugendlicher fürs Lernen aussagen. Er fokussiert auf drei zentrale Einflüsse, die den Menschen mit seiner Persönlichkeit – symbolhaft als Teig dargestellt – wie ein Wallholz formen. Mit Bezug auf die Umwelt, mit der sowohl Familie als auch die gesamte Gesellschaft gemeint sind, kontrastiert der Rektor etwa seine eigene Zeit als Jugendlicher mit derjenigen der heutigen Generation Z. «Meine Jugend war geprägt von einem Gefühl der Freiheit nach dem Fall der Berliner Mauer 1989. Dieses dauerte an bis 9/11 kam und mit ihm ein Gefühl der Angst. Und: 2007 kam das Smartphone, das einen riesigen Impact auf das Sozialleben der heutigen Jugendlichen hat», betont er. Diese Einflüsse steuerten die Denkweise ebenso wie die Selbstwahrnehmung von jungen Menschen.
Während die Umwelt also nicht immer nur lernförderlich auf Jugendliche wirkt, stellt sie die biologische Entwicklung ihres Gehirns zusätzlich vor Herausforderungen, was effizientes Lernen angeht: «Das Gehirn erfährt in den Jugendjahren sozusagen ein Upgrade in Form der Myelinisierungsphase, die aus den Vernetzungen im Gehirn statt Kupfer- Platindrähte macht. Nur: Während alle anderen Bereiche des Hirns davon schrittweise erfasst werden, bleibt der Frontallappen aussen vor, je nach Studie bis weit ins Erwachsenenalter.» Warum dies problematisch ist? «Der Frontallappen kontrolliert Impulse, schafft es also, zu verhindern, dass Sie jetzt bei Langeweile einfach aufstehen und nach Hause gehen, obwohl ihr Belohnungszentrum dies fordert.»
Jugendliche geben stattdessen sozial-affektiven Impulsen nach und passen ihre Ziele sehr flexibel an – sie suchen oft den Dopaminkick, der ihr Belohnungszentrum beruhigt. «Während der Fokus auf Soziales eine Stärke sein kann, begünstigt das Sensation Seeking risikoreiches Verhalten.» Indino macht das Beispiel von wagemutigen Sprüngen mit dem Mountainbike einerseits, vom Cannabiskonsum andererseits. Riskant sei beides, aber: «Wenn Sie für Ihr Kind die Wahl haben, lassen Sie es mit Schutzausrüstung springen. THC hat nämlich nachweislich eine schädliche Wirkung auf das Gedächtnis, just dann, wenn es sich positiv entwickeln sollte, und es stumpft emotional ab», rät er eindringlich. Lieber also Ziele definieren und sich das Glück alias Dopamin so verdienen.
Selbstwirksamkeit ist zentral
Werden diese Ziele passend gewählt, kann im Idealfall ein Flowerlebnis im Lernprozess resultieren. Dafür muss aber einiges gegeben sein: «Die Basis für Motivation ist aus psychologischer Sicht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, das Wissen, selbst etwas erreichen zu können.» Motivation kann verschieden geartet sein, erklärt er detailliert und führt das Publikum an die wesentliche Erkenntnis, dass für ein Flowerlebnis, das bei guten Fähigkeiten und hohen Anforderungen eintreten kann, Motivation zentral ist. Im Idealfall sollte eine Person bei der Suche nach der Erklärung, warum etwas geschieht, möglichst internale, kontrollierbare und veränderbare Ursachen identifizieren können. Dann nämlich glaubt sie, mittels Änderung ihrer Rolle im System das Ergebnis beeinflussen zu können, also beispielsweise eine Aufgabe lösen zu können. «Loben Sie daher niemals Ihr Kind für seine Intelligenz, wenn es etwas gut gemacht hat. Diese ist weder variabel noch kontrollierbar. Studien zeigen, dass Jugendliche stark motiviert werden können, wenn man sie stattdessen für ihre Anstrengung lobt», führt Indino aus.
Das so bestärkte erfolgsmotivierte Denken beim Herangehen an Herausforderungen ist hochwirksam, wenn die Person noch dazu intrinsisch motiviert ist. «Dies wird begünstigt, wenn die Person sich autonom, kompetent und sozial eingebunden fühlt», sagt Indino. Eine Belohnung für beispielsweise ein erfolgreiches Bewältigen einer Aufgabe braucht diese Person nicht; im Gegenteil. «Das Produkt aus dem Geleisteten ist die Belohnung. In einer Studie hat man Kinder mit Buntstiften zeichnen lassen. Alle waren topmotiviert dabei. Eine Gruppe liess man einfach machen, bei der anderen ging man hin, lobte sie und belohnte sie mit Süssigkeiten. Was geschah? Diese Kinder hörten auf, zu zeichnen», erzählt Indino.
Jugendliche haben weniger intrinsische Motivation
Auch in Bezug auf die psychologischen Aspekte weisen Studien für die Altersgruppe der Teenager und den Schulkontext spezifisch Stolpersteine nach. So schätzen sich etwa viele Jugendliche zu negativ ein, besonders Mädchen und beide Geschlechter nach Abschluss der Grundschule. Zudem wird die Selbsteinschätzung zunehmend über Noten definiert. Und: «Bei Jugendlichen ist ein Verlust der fachspezifischen intrinsischen Motivation sowie der Wahrnehmung der Nützlichkeit und der Wertschätzung von Bildung allgemein nachgewiesen.» Vor diesem Hintergrund gelte es, zu versuchen, individuelle Bezugsnormen für die Bewertung zu verwenden, sich als Lehrperson transparent zu zeigen und eine konstruktive Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen. «Diese Faktoren begünstigen die intrinsische Motivation nachweislich», so Indino abschliessend.
Der Rektor verleiht im Anschluss an die Fragerunde seiner Freude Ausdruck, dass die KSK-Dialoge Anklang finden. «Wir haben als Schule einen Bildungsauftrag, der, wie ich finde, auch öffentlichen Charakter hat», sagt Indino auf die Frage, weshalb er die Einführung der Dialoge wichtig findet. «Die Eltern vertrauen uns ihre Kinder an, ohne viel Wissen darüber, was sie hier eigentlich den ganzen Tag machen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, sowohl fachlich als auch persönlich zu wissen, was wir machen.» Indinos Botschaft an diesem Vormittag ist klar: An der KSK soll primär gelernt werden – und zwar möglichst erfolgreich. Ein Verständnis für die Herausforderungen, die dem im Weg stehen, ist dafür unumgänglich.