Im letzten KSK-Dialog des Schuljahrs 2024/25 gab Prof. Dr. Christina Colberg einen fundierten Einblick in laufende Projekte und die aktuelle Forschung zum Thema nachhaltige Entwicklung.
Michael Volkart
Mit den KSK-Dialogen ist an unserer Schule seit diesem Schuljahr eine öffentliche Vortragsreihe entstanden, in der Lehrpersonen und Dozierende des Campus Kreuzlingen über aktuelle Fragen aus ihrem Fachgebiet referieren und in der Folge in den Dialog mit dem Publikum treten. Prof. Dr. Christina Colberg, Dozentin an der PHTG und der ETH Zürich sowie Beirätin der KSK, bildete mit ihrem Referat zum Thema «Nachhaltigkeit als Bildungsauftrag» den Abschluss der diesjährigen Reihe.

Begriffe und Modelle sind bedeutsam
Der Begriff «Nachhaltigkeit» ist heutzutage in aller Munde – ja, er wird geradezu inflationär verwendet. Diese Beobachtung bildete den Ausgangspunkt für Christina Colbergs Vortrag und führte zu einer genaueren Begriffsbestimmung. Um einem eindimensionalen Verständnis von Nachhaltigkeit vorzubeugen, sei es sinnvoller, in umfassenderer Weise von «nachhaltiger Entwicklung» zu sprechen. Dies beinhaltet sodann nicht nur ökologische Herausforderungen wie die Klimaerwärmung, sondern erweitert den Fokus auf soziale und wirtschaftliche Fragen der Gegenwart, seien dies Kriege oder eine gesellschaftliche wahrnehmbare zunehmende Individualisierung und Polarisierung. In der Schweiz ist die Förderung nachhaltiger Entwicklung zudem als Staatszweck in der Bundesverfassung (Art. 2) verankert – mit bildungspolitischen Implikationen. Im Lehrplan 21 für die Volksschule wie auch im neuen Maturitätsanerkennungsreglement der EDK für die Gymnasien nimmt nachhaltige Entwicklung als Bildungsziel eine zentrale Position ein.
Aus wissenschaftlicher Perspektive bietet es sich an, nachhaltige Entwicklung in Form von Modellen zu analysieren. Im klassischen Modell wird von den drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales gesprochen, die miteinander ausbalanciert werden müssen. Das Modell erscheint auf den ersten Blick plausibel, da es aufzeigt, dass die drei Säulen nicht gleichzeitig vollumfänglich entwickelt werden können. Wenn ein Unternehmen oder ein Staat beispielsweise primär auf die wirtschaftliche Entwicklung setzt, geraten ökologische und soziale Anliegen ins Hintertreffen – und umgekehrt. Da das Verhältnis der drei Säulen hier aber gleichwertig umschrieben wird, ergibt sich keine klare Aussage, worin nachhaltige Entwicklung tatsächlich besteht. Als Gegensatz dazu wurde darum das sogenannte Vorrang-Modell geschaffen, das die drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung priorisiert. Dieses Modell sieht die Wirtschaft als Teil der Gesellschaft und diese wiederum als Teil der Umwelt. Nachhaltige Entwicklung besteht demzufolge in der Sicherung sozialer Bedürfnisse unter Einhaltung planetarer Grenzen. Verknappt lässt sich dies in der Formel ausdrücken: Keine Wirtschaft ohne Gesellschaft, keine Gesellschaft ohne Ökologie.
Der Gefahr einer Ideologisierung begegnen
Die Diskussion um das richtige Modell ist keine rein akademische Übung, denn je nach Gewichtung der Nachhaltigkeitssäulen ergeben sich unterschiedliche politische Schlussfolgerungen. Nachhaltige Entwicklung kann vor diesem Hintergrund – gerade an Schulen – schnell als ideologisch motiviertes Thema interpretiert werden, was gemäss Christina Colberg aber nicht gerechtfertigt ist, da auch das priorisierende Vorrang-Modell letztlich deskriptiven Charakter habe. Um dem Vorurteil zu begegnen, dass nachhaltige Entwicklung Teil einer politisierten Gesinnungsbildung sei, nahm Colberg dabei auch Lehrpersonen in die Pflicht. Einerseits müsse es darum gehen, dass diese ihren eigenen Standpunkt reflektierten und davon bestmöglich abstrahierten, andererseits biete es sich an, von Bildung «in» oder «über», statt von Bildung «für» nachhaltige Entwicklung zu sprechen. Eine neutrale Wertehaltung zeige sich schliesslich auch im konkreten Unterrichtsgeschehen. Es sei gerade beim Thema nachhaltige Entwicklung wichtig, keine Antworten vorzugeben, sondern durch eine fragende Haltung ein offenes Klima für manchmal auch konfligierende Aussagen zu schaffen. Das fördere und fordere zugleich Resilienz gegenüber einem übermässigen Gewissheitsbedürfnis, das es zu reduzieren gelte.
Ziele für die Zukunft
Im zweiten Teil ihres Vortrags gab Christina Colberg anhand von Beispielen einen Einblick, wo und wie das Thema nachhaltige Entwicklung in Schweizer Bildungsinstitutionen bereits stattfindet. Besonders wirksam sind nach Colberg Projekte, in denen Theorie und Praxis verbunden werden. Das kann bereits auf Primarschulstufe beginnen, beispielsweise beim Einbezug von Kindern in den Bauprozess eines neuen Spielplatzes, und zieht sich durch bis zu den Universitäten. Ein eindrückliches Projekt in diesem Bereich ist der Bau von Eis-Stupas nach indischem Vorbild im Engadin durch den ETH-Glaziologen Felix Keller. Die Technologie, die im indischen Hochland zur Speicherung von Wasser dient, könnte langfristig auch genutzt werden, um die durch die Klimaerwärmung erfolgende Gletscherschmelze zu verhindern oder zumindest zu bremsen. Eine wichtige Entwicklung zur Verbindung von Theorie und Praxis ist auch das sogenannte Service Learning, bei dem gesellschaftliches Engagement mit Lerninhalten verknüpft wird. Das Mentoringprogramm DreamTeam, das die KSK als Freikurs anbietet, ist ein Beispiel dafür.
Damit nachhaltige Entwicklung selbst eine nachhaltige Wirkung entfalten kann, muss sie gemäss Colberg zudem zu einem integralen Bestandteil der Schulkultur werden. Schulen müssen nachhaltige Entwicklung nicht nur über alle Fächer hinweg lehren, sondern auch als Teil der eigenen Praxis verstehen und leben. Schulen müssen sich als Ideenlabore verstehen und vernetzen – die KSK tut dies beispielsweise als Teil des Netzwerks UNESCO-assoziierter Schulen – und können dadurch ihre Funktion als Multiplikatoren neuer Ideen in der Gesellschaft entfalten.

Die KSK-Dialoge gehen weiter. Am 2. September 2025 um 18:30 Uhr eröffnet Dr. Sibylle Engeler, KSK-Lehrerin für Biologie und Chemie, die zweite Vortragsreihe mit einem Referat zum Thema Gentechnik.