Die Quantenmechanik und unser wissenschaftliches Weltbild sowie der gegenwärtige Stand unseres Wissens – aber auch unseres Unwissens – wurden im Rahmen des Philosophie/Physik-Sondertags der 3Mz thematisiert. Während der mündlichen Maturaprüfungen tauchen die Drittklässler:innen der MINT-Klasse in philosophisch-physikalische Sphären ab, um sich mit verschiedenen Theorien und Fragen auseinanderzusetzen.
Michael Volkart
Ausgehend vom antiken Philosoph Platon, der Wissen als «gerechtfertigte, wahre Meinung» definiert, diskutierten die Schülerinnen und Schüler darüber, was Wissen überhaupt ist und wann wir letztlich davon sprechen können, etwas zu wissen. Abstrakte Begriffe, wie Rechtfertigung und Wahrheit stecken in Platons Definition und werfen Fragen auf: Was liefert uns die Rechtfertigung, an etwas zu glauben? Die Wissenschaften stützen sich hierbei auf ganz unterschiedliche Arten der Rechtfertigung und sprechen von empirischer Evidenz, logischen Schlüssen oder Quellen als Anhaltspunkt. Eine Hierarchie unter den Arten der Rechtfertigung gibt es nicht, alle unterliegen gewissen Beschränkungen.
«Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind»
Selbst wenn ein Phänomen noch so oft in der Welt beobachtet wurde und daraus eine (vermeintliche) Gesetzmässigkeit abgeleitet wurde, reicht eine einzige konträre Beobachtung, um die Gesetzmässigkeit zu widerlegen. Auf der anderen Seite führt logisches Schliessen alleine noch nicht zu Aussagen über die Welt, wie sie tatsächlich ist. Dafür brauchen wir immer auch Anschauungsmaterial aus der Welt um uns herum, denn, so Kant: «Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.» Noch grundlegendere Fragen eröffnen sich hinsichtlich des zweiten Definitionsbestandteils, der Wahrheit. Die Antwort auf die Frage, was wahr ist und was nicht, liefert uns die Welt selbst. Jedoch sind wir mit unseren Messinstrumenten – Sinnesorgane, experimentelle Anordnungen – immer nur fähig, einen kleinen Ausschnitt aus unserer Welt zu erfassen und unser Wissen über die Welt ist entsprechend begrenzt. Zudem gilt es auch, die grundsätzlichen Zweifel an unserer Sinneswahrnehmung auszuräumen, die spätestens seit René Descartes im 17. Jahrhundert diskutiert werden und sogar in der Populärkultur – man denke an Filme wie The Matrix – Anklang gefunden haben. Warum sind wir uns so sicher, dass es so etwas wie eine physische Realität ausserhalb unserer Wahrnehmung überhaupt gibt? Für die Schüler:innen der 3Mz ist klar, dass eine abschliessende Antwort auf diese Frage wohl nicht gefunden werden kann, dass wir solche Szenarien aber auf phänomenologischer Grundlage gleichwohl als wenig plausibel erachten dürfen und entsprechend in lebenspraktischer Hinsicht durchaus sinnvoll beantworten können: Warum sollen wir an etwas zweifeln, das wir alle in ganz ähnlicher Weise wahrnehmen?
Eine gute Theorie ist widerlegbar
Auf dieser klassisch-philosophischen Grundlage aufbauend wurde die zeitgenössische Wissenschaftstheorie betrachtet. Hier hat sich aufgrund der beschriebenen Einschränkungen ein vergleichsweise zurückhaltender Wissensbegriff durchgesetzt. So postuliert der vom österreichisch-britischen Philosophen Karl R. Popper geprägte Falsifikationismus, eine wissenschaftliche Theorie sei erst dann eine gute Theorie, wenn sie falsifizierbar, also widerlegbar, aber bisher nicht falsifiziert sei. Metaphysische Aussagen beispielsweise zur Existenz Gottes sind nicht falsifizierbar und darum auch nicht wissenschaftlich zu beantworten. Für wissenschaftliche Theorien führt der Falsifikationismus zur Grundidee, dass diese den jeweils besten Stand unseres aktuellen Wissens umschreiben, aber gleichzeitig konstant einer kritischen Überprüfung bedürfen und entsprechend verfeinert oder verworfen werden können.
Wissenschaftlicher Fortschritt ähnelt einer politischen Revolution
Die wissenschaftstheoretischen Ansätze der US-Philosophin Sally Haslanger und des US-Wissenschaftstheoretikers Thomas S. Kuhn zeigen, dass dies nicht immer einfach ist. Haslanger hat die feministische Wissenschaftstheorie geprägt, die den Wissenschaftsapparat als männlich dominierte Sphäre beschreibt, in der das Gender einer Person oft relevant dafür ist, ob dieser Person Wissen in einem bestimmten Bereich zugeschrieben wird und in der wissenschaftliche Methoden oft männlich assoziiert sind. Ganz allgemein, so der US-Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn, verfestigt sich die Wissenschaft oft zu gängigen Paradigmen, die die Entstehung neuer Denkansätze behindern können. Wissenschaftlicher Fortschritt habe in diesem Kontext eine revolutionäre Komponente, ähnlich wie in einer politischen Revolution werden damit in einem konfliktreichen Prozess alte Paradigmen über Bord geworfen und neue Paradigmen an deren Stelle gesetzt.
Paradigmenwechsel wirft Weltbild über Bord
Genau ein solcher Paradigmenwechsel war der Gegenstand des zweiten Teils des Sondertags, in dem die Entwicklung der Quantenmechanik seit dem Ende des 19. Jahrhunderts unter die Lupe genommen wurde. Der schottische Physiker James Clerk Maxwell war 1871 der Meinung: «Schon in wenigen Jahren werden alle fundamentalen physikalischen Konstanten annähernd bestimmt worden sein […]». Weit gefehlt: Anders als von Maxwell prophezeit, brachte eine ganze Fülle von Erkenntnissen und neuen Theorien das etablierte Weltbild der Physik in den Folgejahren ins Schwanken. Max Planck postulierte, dass Energie in Portionen (Quanten) emittiert werde. Niels Bohrs Forschung am Wasserstoffatom führte zu einem neuen Atommodell, in dem Elektronen als Wellen beschrieben werden konnten. Louis de Broglie und Erwin Schrödinger verfeinerten diese Vorstellung und beschrieben die Wellenfunktion mit der Sprache der Mathematik. Weitere Forschung brachte eine grundsätzliche Erkenntnis der Quantenmechanik hervor, nämlich den sogenannten Welle-Teilchen-Dualismus, der mit dem Doppelspaltexperiment nachgewiesen werden kann. Zunächst mit Licht, später aber auch mit Elementarteilchen bis hin zu Molekülen wurde nachgewiesen, dass Materie auch Welleneigenschaften hat. Eine andere Erkenntnis – von Albert Einstein als «spukhafte Fernwirkung» beschrieben – besteht in der Quantenverschränkung. Zwei Lichtteilchen, die in einer besonderen Beziehung zueinander stehen, also verschränkt sind, bleiben nach ihrer räumlichen Trennung über eine beliebig grosse Distanz miteinander verbunden. Wird am einen Lichtquant eine Messung durchgeführt, so wird damit auch der Zustand des anderen Lichtquants festgelegt. Eine ganz grundsätzliche Rolle in der Funktion der Welt spielt also Information. Dies zeigt sich auch in der von Werner Heisenberg entdeckten Unschärferelation, die besagt, dass Ort und Geschwindigkeit (oder Energie und Zeit) eines Objekts nicht gleichzeitig präzise bestimmt werden können.
«Sind wir hier oder träumen wir?»
Die Erkenntnisse der Quantenmechanik haben nicht nur in technologischen Anwendungen eine lebenspraktische Bedeutung, sondern sie haben auch eine unmittelbare Auswirkung auf unser Bild des Menschen in der Welt. Was sie nämlich widerlegen, ist die Annahme eines deterministischen Universums, in dem alle Vorgänge nach eindeutigen Gesetzen verlaufen. In einem solchen Universum wäre für unseren freien Willen und für ein selbstbestimmtes Leben kein Platz. Vor allem aber bringen uns die Beobachtungen der Quantenmechanik zum Staunen darüber, wie gross unser Unwissen trotz des wissenschaftlichen Fortschritts bis heute geblieben ist. Was bleibt also bestehen? Das Fazit des Tags liefert ein:e anonym gebliebene Schüler:in aus der 3Mz: «Die Philosophie fragt danach, ob wir hier sind oder ob wir träumen. Wohingegen die Quantenphysik das nicht hinterfragt. Sie fragt nur, ob wir auf dem Jupiter sein könnten.»