Biologie- und Chemielehrer Sebastian Ehm arbeitet zwar bereits seit 15 Jahren an der KSK, ist aber dieses Semester doch ein Rückkehrer an die Schule. Von August bis Januar zog er nämlich sein Bildungssemester ein – ein halbes Jahr mit drei Schwerpunkten, die ihn unter anderem in zwei Schreinereien führten.
Corina Tobler
Etwas will Sebastian Ehm gleich zu Beginn klarstellen: Ein Bildungssemester für eine Lehrperson an der Mittelschule ist kein Bildungsurlaub. «Man muss ein Programm einreichen, mit Stundenangaben, die auch zum Anstellungsgrad passen. Ich wollte nicht Urlaub, aber hatte das starke Bedürfnis, mal ein halbes Jahr nicht unterrichten zu müssen», beschreibt er seine Überlegungen zu Beginn des Prozesses.
Drei Schwerpunkte gewählt
Auf die Frage danach, was er in den sechs Monaten machen wolle, fand Sebastian Ehm drei Antworten, die sich alle unter dem Begriff selbstorganisiertes Lernen (SOL) zusammenfassen lassen. «Der Kanton schreibt vor, dass die Inhalte und Ziele eines Bildungssemesters aus einem von drei Bereichen kommen: persönliche, pädagogische oder inhaltliche Weiterbildung. Ich habe dann aus allen drei Bereichen etwas gewählt, musste aber sehr vieles selbst organisieren, da es fast keine Kurse an pädagogischen Hochschulen oder Unis gab», erzählt Ehm.
Das Thema SOL habe er gewählt, weil er nach 15-jähriger Lehrtätigkeit gemerkt habe, dass er mehr Freude daran habe, Gruppen oder Individuen etwas zu erklären, das ihnen unter den Nägeln brenne, während ihm Frontalunterricht zunehmend weniger Spass mache. So habe er schon vorher begonnen, mehr in diese Richtung zu arbeiten. «Ich habe als pädagogischen Bereich die Weiterbildung SOL 1 an der PH Bern absolviert.» Abgesehen von diesem Kurs, in den er etwas übervorbereitet reingegangen sei, hat Sebastian Ehm sein ganzes Restprogramm selbst gemanagt. «Das war nicht unanstrengend. Die Routine aus 15 Jahren Schule ist plötzlich weg, man muss sich selbst organisieren lernen, neue Arbeitsweisen anwenden.»
Challenge Selbstorganisation
Dies empfand er als grosse Herausforderung, da seine Arbeit meist alleine in seinem Büro zuhause vonstatten ging. «Es war anstrengend und unangenehm, da ich keinen Austausch mit Kollegen hatte. Aus diesem Grund gehe ich seit meinem Wiedereinstieg bewusst öfter ins Lehrerzimmer, um genau diesen Austausch zu schätzen und zu pflegen.» Spannend sei die Realisierung gewesen, dass er genau das, was er gerade tue, lernen wolle: SOL. «Das Hauptziel von SOL ist eigentlich, dass die Jugendlichen am Ende der Kantizeit gelernt haben, wie sie in der Zukunft arbeiten und lernen. Es geht um das Ziel der Handlungskompetenz. Für mich war es ein Aha-Effekt, zu merken, dass ich’s nicht so gut oder nicht perfekt konnte.»
Trotz der Herausforderungen fand Ehm im fachlichen Schwerpunkt diverse Ansätze, sein Material mit Blick auf SOL zu überarbeiten. «Ich wollte bewusst keine neuen fachlichen Ideen, sondern Zeit, da ich sonst immer zu viele Ideen und zu wenig Zeit habe. So konnte ich teils neue SOL-Blöcke erstellen und bestehende Blöcke überarbeiten», erzählt er.
In der Schreinerei
Besonders begeistert hat Sebastian Ehm allerdings der Teil des Bildungssemesters, den er der persönlichen Weiterbildung widmete. Er arbeitete mehrere Wochen in zwei Schreinereien mit, nachdem er sich seit Ostern 2021 intensiver mit Holzwerken beschäftigt hatte. Er hatte damals innert einer Woche drei Schreinerkurse in Freiburg im Breisgau absolviert. «Das hat mir wahnsinnig Spass gemacht. Ich merkte, dass ich’s auch nicht schlecht mache, was mir Vertrauen gab, nach noch ein paar Kursen die grossen Maschinen bedienen zu wollen.» Schliesslich habe er seinen Mut zusammengenommen und fürs Bildungssemester angefragt. Fachbezüge zu Biologie und Chemie seien über die Holzarten sowie die Oberflächenbehandlung da.
Ehm wurde nicht enttäuscht: «Es war genial und sehr überraschend, weil man sich als Lehrperson ja nur bedingt gewohnt ist, acht Stunden und mehr am Tag am gleichen Ort durchzuarbeiten. Davor hatte ich extrem Respekt. Eine Schreinerei hat Zehn-Stunden-Tage mit zweimal 30 Minuten Pause», berichtet er. Es habe aber keinen einzigen Tag gegeben, dessen Ende er sich herbeigesehnt habe. «Ich hatte solche Freude! Es ist nicht so eine geistige Belastung und anders als im Lehrerjob hatte ich nicht die Entscheidungsdichte eines Düsenjetpiloten. Körperlich war die Arbeit machbar, besser als erwartet», zieht er Bilanz.
Seine Schreinertätigkeit resultierte in sichtbaren Ergebnissen: In der Schreinerei Liebwerk in Salem (DE) hatte er eigenes kleines Projekt und baute einen Werkstattschrank für die Firma selbst (Bild oben). Zudem arbeitete er an Firmenprojekten mit. «Das Geschäft produziert zu 80 Prozent Massivholzmöbel. Ich war mal in einem Workshop, in dem ein Schneidebrett hergestellt wurde und lernte so die Leute kennen», erzählt Ehm, dessen zweiter Arbeitgeber die Schreinerei Brändli in Kreuzlingen war. Im kleinen Betrieb dort werden vor allem Plattenmöbel hergestellt und für Ehm gab es wenig Arbeit. So kam es, dass er dort für sein Zuhause Möbel schreinern durfte. «Meine Frau Claudia wünschte sich Stauraum hinter dem Klavier, wir hatten einen alten Couchtisch aus der Brocki, und drei alte, sehr schöne Stühle von meiner Oma, von denen der vierte fehlte.» Alle drei Stücke stellte Ehm im Bildungssemester her (siehe Bilder).
«Absolut zu empfehlen»
Mittlerweile hat der Schulalltag Sebastian Ehm natürlich wieder fest im Griff. «In den Sportferien war ich schrecklich nervös, habe mir aber vieles davon wohl auch eingeredet, da ich eh am Sonntag immer wegen Montag nervös bin, ebenso am letzten Sonntag von Ferien. Rückblickend war der Anfang aber nicht viel anders auch sonst, was ja eigentlich gut ist; das Ziel war ja nicht, mich komplett zu verändern», sagt Ehm. Das Bildungssemester hat aber beim ihm definitiv Spuren hinterlassen. In seinem Haus hat er mittlerweile eine kleine Holzwerkstatt. Aufträge nehme er noch keine an, sagt er und schmunzelt. «Schön wäre, wenn ich irgendwann vielleicht einen Tag pro Woche in der Schreinerei voll arbeiten könnte und daneben vier Tage an der Schule. Es ist toll, am Abend in der Hand zu halten, was man erreicht hat.» Das Wissen aus dem Matheunterricht in seiner Gymnasialzeit helfe ihm übrigens dabei, da er Trigonometrie vorher nie derart exzessiv habe brauchen müssen.
Das Bildungssemester würde Sebastian Ehm anderen Lehrpersonen absolut empfehlen. «Ausser, jemand weiss, dass er oder sie es nicht aushalten würde, die Klassen nicht mehr zu sehen. Wer hat schon die Möglichkeit, so lange in einem Beruf dieselbe Arbeit zu machen? Abwechslung ist nötig und der Rahmen, den man hier erhält, ist eine riesige Chance.» Dass er sie genau zu diesem Zeitpunkt nutzte, hatte übrigens diverse Gründe. Einerseits erfüllt er als Person, die seit mindestens zehn Jahren Hauptlehrperson und nocht nicht 55 Jahre alt ist die Bedingungen, ein solches Semester zugesprochen zu erhalten. «Andererseits wurde mir gesagt, man habe alle zehn Jahre Anspruch auf ein Bildungssemester, so dass ich dachte, ich müsse nun loslegen, um die Chance ein zweites Mal zu erhalten», sagt er. Letzteres stimmt nicht; jede Lehrperson darf nur ein Bildungssemester beziehen.
In zehn Jahren wieder
Sebastian Ehm will die Erfahrung dennoch ein zweites Mal machen. «Ich bin jetzt auf den Geschmack gekommen und will das vor der Pension nochmals machen. Dann aber selbst organisiert und bezahlt. Ich werde bis zur Pension noch mindestens 20 Jahre arbeiten. Das ist noch eine verdammt lange Zeit. Nach acht bis zehn weiteren Jahren kann ich einen Tapetenwechsel sicher nochmals brauchen, beginne daher bereits jetzt, dafür zu sparen», sagt Ehm, der bei einem zweiten Bildungssemester auch die Chance sieht, mit seiner ganzen Familie zu verreisen. «Meine 3- und 5-jährigen Kinder hätten jetzt davon wenig gehabt. In zehn Jahren hingegen fänden sie das bestimmt cool.»