Am See der Extreme

Am See der Extreme

Im Winter eine faszinierende Eislandschaft, im Sommer locken sandige Buchten, steile Klippen und eine Artenvielfalt, die ihresgleichen sucht. Res Grimm, einst Schüler an der KSK, nahm die zweiten Klassen und die Russischschülerinnen und -schüler am 11. Januar in der Dreispitz-Halle mit auf seine Abenteuer am Baikalsee.

Corina Tobler

Proviant für 40 Tage, einen Schlitten, ein Zelt, den wärmsten Schlafsack, den es gibt und jede Menge Abenteuerlust. So ausgerüstet startete Res Grimm im Januar 2016 seine Seeüberquerung. Nicht etwa des Bodensees, der konnte seit der Seegfrörni 1963 nicht mehr zu Fuss begangen werden, sondern des Baikalsees im Osten Sibiriens. Sein Ziel: Die Eisfläche zu Fuss von Süden nach Norden zu durchqueren. Kein leichtes Unterfangen, ist der See doch mit rund 640 Kilometern Länge, im Schnitt rund 40 Kilometern Breite und einer Tiefe von bis zu 1600 Metern das grösste Süsswasserreservoir des Planeten, mit Ufern, die zu grossen Teilen menschenleer sind.

Res Grimms Begeisterung für den Baikalsee ist am Vortrag im Dreispitz spürbar. (Corina Tobler)

Achtung Einsturzgefahr

Genau das fasziniert den 47-jährigen Res Grimm. «Über dir ist der riesige Himmel, unter dir 70 Zentimeter dickes Eis, darunter 1600 Meter Wasser. Das ist eine grandiose Vorstellung», schwärmt er am Vortrag, den er im Dreispitz für die Russischklassen von Anna Kisters sowie die zweiten Klassen hält, die sich im Fach Geografie mit Russland beschäftigt haben. Er zeigt Bilder faszinierender Muster im Eis, erzählt von der Musik, die das Eis stets mache. Aufgrund der Spannungen brechen nämlich im Eis immer wieder Spalten auf. «Diese gibt es auch an der Seeoberfläche, dann muss man sehr vorsichtig sein.» Das Einbrechen im Eis sei die grösste Gefahr, wenn man sich im Winter auf dem See befinde.

Res Grimm zeigt ein Bild seiner Seeüberquerung im Winter 2016. (Corina Tobler)

Abgesehen davon muss man bereit sein, für das Naturspektakel von Sonne, Wolken und Eis körperliche Strapazen auf sich zu nehmen. Temperaturen von bis zu minus 30 Grad Celsius und beschwerliches Schlittenziehen, wenn das Eis nicht blank ist, gehören dazu. Die Ernährung muss geplant werdenn, denn: «Man ist zwar auf dem Wasser, hat aber kein Wasser, wenn man nicht regelmässig Eis schmilzt.» Dies tat Res Grimm jeden Abend, kochte und füllte seine Thermosflaschen für den nächsten Tag. «Morgens und mittags ernährte ich mich von Zwieback, Trockenfrüchten und ähnlichen Dingen, die ich im Schlitten hinter mir her zog. Abends, wenn ich mein Zelt aufgestellt hatte, kochte ich ein warmes Essen mit dem Benzinkocher.» 39 Tage lang legte er im Schnitt zwanzig Kilometer auf dem Eis zurück, bis die Überquerung geschafft war.

Lokführer, Philosoph und Slawist

Dass ihn sein Weg ab dem Jahr 2006 immer wieder nach Sibirien und zum Baikalsee führen würde, erwartete Res Grimm, als er vor rund 30 Jahren an der Kantonsschule Kreuzlingen seine Matura machte, keineswegs. Die Matura öffnet ja bekanntlich viele Türen, doch er wusste nicht, durch welche er gehen sollte. «Ich arbeitete hier und dort, probierte Verschiedenes aus. Schliesslich machte ich eine Ausbildung zum Lokführer», erzählt er. Studiert hat er allerdings dann doch noch, und zwar Philosophie und Russisch. «Eigentlich anfangs nur Philosophie, doch nachdem es mir nach der ersten Russlandreise den Ärmel reingezogen hatte, dachte ich, ich könnte so an der Uni gleich noch Russisch lernen.» So kam es, dass Res Grimm nun als Lokführer arbeitet, um das Geld zu verdienen, das ihm dann die Reisen nach Sibirien ermöglicht – zuletzt im vergangenen September.

Sein verrücktestes Abenteuer am grössten See der Welt erlebte er allerdings im Frühling und Sommer 2016. Er wanderte um den gesamten See, total 1900 Kilometer. Bei sommerlichen Temperaturen, blühender Fauna und in Gesellschaft von zig Wildtieren. Der Baikalsee hat nämlich zwei Gesichter. Aufgrund des kontinentalen Klimas mit wenig Wasser kühlt sich die Region im Winter zwar extrem ab, heizt sich aber umgekehrt im Sommer auch stark auf – so dass dann Temperaturen über 20 Grad und eine quicklebendige, wilde Landschaft locken. Diese ziehen auch Touristen an die zugänglicheren Orte. Kaum jemand wagt aber das, was sich Res Grimm vornahm; die komplette Umrundung des Sees zu Fuss.

1900 Kilometer Wildnis

Mit einem Rucksack, der rund 30 Kilogramm wiegt und statt eines Schlittens ein Minischlauchboot beinhaltet, um die diversen Zuflüsse überqueren zu können, macht sich Res Grimm im April 2016 auf den Weg. Dieser führt als solcher teils vorbei an der Route der berühmten Transsibirischen Eisenbahn, andernorts existiert er nicht. «Dann muss man sich halt selbst einen Weg bahnen, auf dem Plateau der Steilklippen oder durch Buschlandschaften.» Menschen begegnen Grimm teils tagelang nicht. Wasser bekommt er aus dem See und seinen Zuflüssen – ist der Zugang irgendwo nicht möglich, wo ihn Grimm geplant hat, muss er weiter wandern. «Klar geht da manchmal die Motivation flöten, doch man muss weiter gehen. Eine andere Option gibt es nicht», sagt er rückblickend. Zudem: Die Belohnung in Form von fantastischen Ausblicken, Sandstränden, Bären (denen man sich lautstark zu erkennen geben sollte), Robben oder russischen Fischern, die extra für Res Grimm nochmals auf den See fahren, um mit ihm zu essen, sind die Mühen wert. Trotzdem ist er nach vier Monaten (mit entsprechend gewachsenem Bart) überglücklich, als er die Umrundung geschafft hat, wie das Selfie zeigt.

Geschafft: Res Grimm nach 1900 Kilometern Fussmarsch. (Corina Tobler)

Würde er diesen Kraftakt nochmals wagen? «Nein! Das war eine einmalige Sache», sagt er mit Bestimmtheit. «Künftig will ich mich im Sommer auf einzelne Regionen konzentrieren und diese besser kennenlernen.» Die Aussage zeigt: Bereits wenige Monate nach seiner jüngsten Reise hat Res Grimm bereits wieder Fernweh – oder Heimweh.

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