Ein japanischer Tischkalender, Postkarten von Katsushika Hokusai, ein Sachbuch zu Ikigai, der japanischen Lebenskunst, ein Roman von Gaito Gasdanow und eine Membercard der National Gallery; Anna Kisters hat im Herbstsemester 2023/24 ein Sabbatical gemacht und legt diese Dinge bei der Frage nach Gegenständen oder Mitbringseln auf den Tisch und strahlt.
Carina Lukosch
«Sprachen sind das Glück meines Lebens»
Lesen, Kultur und besonders die Sprachen haben es der Lehrerin für Russisch und Französisch angetan. Und obwohl sie nur einen kleinen Teil des Herbstsemesters im Vorfeld geplant hat, macht sie alles andere, als die Tage einfach nur so vorbeiziehen zu lassen. «Es ist dann alles irgendwie einfach so entstanden» lächelt sie und erzählt, wie sie ihrem Wunsch, wieder tiefer ins Französische einzutauchen, im Elsass nachgekommen sei. Dort geniesst sie Sonne, Natur und französische Literatur.
Neben dem Französischen sollte auch die englische Sprache einen Refresher erhalten. Mehrmals im Jahr reist die Tolstoj-Kennerin zu Freunden nach London, bietet ihrem Englisch eine Verjüngungskur, schmökert in englischen Büchern und lässt sich von Kunst und Kultur berieseln. Neben all dem erfüllt sie sich mit einer Mitgliedschaft in der National Gallery einen lang ersehnten Wunsch und kann nun endlich an den langen Schlangen am Eingang vorbeiziehen und sich direkt ins Kunstgetümmel werfen.
«Sich einlassen können und zwar völlig»
Anna Kisters erzählt von ihrem Leben, das immer bestens organisiert ist: Schulabschluss, Studium, Doktorarbeit, Kinder, Beruf, Familie, Freunde, alles müsse unter einen Hut gebracht werden und das, was dabei manchmal zu kurz gekommen sei, sei die Kunst, sich einzulassen: Eine Ausstellung einfach nur geniessen, ohne auf die Uhr zu blicken, einfach nur zu sein, die Freiheit zu haben, völlig selbstbestimmt zu entscheiden, «was als nächstes dran ist», das habe sie sich für ihre Auszeit vorgenommen.
«So, und nun gehe ich zurück an die Uni»
Das, was ‘als nächstes dran ist’, ist bei der Romanistin und Russistin die Schulbank. Geleitet von dem Wunsch nach wissenschaftlicher Auseinandersetzung besucht sie eine Veranstaltung zum Stummfilm an der Uni Zürich. Einmal pro Woche entschwindet sie in eine «ganz andere Welt», beschäftigt sich mit wissenschaftlichem Arbeiten, Ästhetik und vor allem Film. Sie geniesst die Fahrten nach Zürich und den Austausch mit den Studierenden, der Professorin und mit ihrer Mutter, die sie an ihren Studientagen besucht.
Sie schafft es sich einzulassen, ist voll drin im wissenschaftlichen Denken und Arbeiten und kommt so zur Frage für ein weiteres Projekt: Elemente des «Le Petit Prince» von Antoine de Saint-Exupéry in Jurij Norsteins «Ėžik v tumane» («Igelchen im Nebel»). «Ich habe sehr viel auch für meinen Unterricht mitgenommen» freut sich die Russischlehrerin und erwähnt wie beiläufig, dass sie während dieser Zeit eine Russisch-Grammatik geschrieben habe. Den Wunsch eine Grammatik zu schreiben, mit der die Schülerinnen und Schüler sich auf die Matura vorbereiten können, habe sie schon länger gehabt. «Ich bin nicht so die Outdoor-Frau, ich bin gerne daheim am Schreibtisch» grinst sie und meint, die Grammatik sei ihr recht leicht von der Hand gegangen. Nun ist die Grammatik fertig und die Russisch Lernenden benutzen bereits ihre Übungen und kreativen Aufgaben daraus.
«Ich war so inspiriert und ich war offen für Impulse»
Der Schwung, der Anna Kisters durch ihr Sabbatical getragen hat, ist in jeder Silbe zu hören: Elsass, England, Uni, die Grammatik. Das Highlight ihres Off-Semesters ist eine Reise nach Japan, der einzige geplante Teil. Auch hier besucht sie Freunde, darunter eine Mathematiklehrerin. Sie macht die Erfahrung, wie es ist, wenn man weder die Sprache versteht noch die Schrift lesen kann. «So müssen sich Menschen fühlen, wenn sie nach Russland kommen und die Schrift nicht lesen können» stellt sie fest und erzählt, wie anspruchsvoll es war, sich in Japan zu bewegen, rauszusuchen, wie sie von A nach B kommt. Sie besucht eine Ausstellung von Hokusai. Der japanische Künstler hat sie ebenso beeindruckt wie die japanische Lebensweise ganz allgemein. «Die Japaner nehmen sehr viel Rücksicht aufeinander, in der Bahn wird beispielsweise nicht gesprochen, um niemanden zu belästigen» erklärt sie und stellt fest, dass «die Menschen sich doch trotz aller Unterschiede letztlich viel ähnlicher sind, als wir meinen.» und gibt ihre Erfahrungen aus der Bahn, beim Einkaufen und im Onsen-Bad preis.
Das Sabbatical für Anna Kisters: Es ist ein Austausch über das, was das Leben lebenswert macht, über die Gabe sich einlassen zu können, die Kunst, das Glück auch als Teil von etwas Ganzem wahrzunehmen und die positive Energie, die sie durchs Leben trägt und die sich immer wieder selbst nährt.
Dankbar und voller Freude blickt sie auf eine Zeit zurück, die für sie einen Wendepunkt darstellt. «Ein zweites Semester hätte ich nicht gewollt», sagt sie und muss lachen. Als sie den Stundenplan bekommen habe, sei sie so aufgeregt gewesen und habe sich so gefreut, endlich wieder mit ihren Klassen arbeiten zu können. «Ich kann mich mehr einlassen und mag es jedem von Herzen gönnen, ein Sabbatical zu machen, es ist so wertvoll» resümiert sie.