Im letzten KSK-Dialog des Jahrs 2025 nahm Daniel Hurtado, Historiker und Prorektor der Kantonsschule Kreuzlingen, das Publikum mit auf eine Reise durch die Geschichte, die sich am Begriff der Freiheit orientierte.
Michael Volkart
«L’homme est condamné à être libre.» Mit dem berühmten Diktum von Jean-Paul Sartre begrüsste Moderatorin Dr. phil. Anna Kisters am 8. Dezember 2025 das Publikum. Freiheit kann demgemäss als Raum der Möglichkeiten verstanden werden, der sich dem Menschen in jeder Lebenssituation eröffnet und der ihn zwingt – nach Sartre gar dazu verdammt, eigene Entscheidungen zu treffen. In seinem Vortrag zeigte Daniel Hurtado auf, wie sich der Freiheitsbegriff im Verlauf der Geschichte entwickelt hat.
Bereits der Blick auf die griechisch-römische Antike zeigt, dass es kein einheitliches Verständnis von Freiheit gibt. Während die damals entwickelten Konzepte der Republik und der Demokratie, die unsere heutige Rezeption der Antike massgeblich prägen, Freiheit als gesellschaftliches Ideal bestimmten, betrachteten die Philosophen der Stoa Freiheit als innere Konstitution, die uns ein Leben frei von Sorgen ermöglichen kann. Gelingen kann dies, wenn wir uns nur mit den Dingen auseinandersetzen, über die wir tatsächlich entscheiden können. In den Worten des stoischen Philosophen Epiktet: «Der Weg zur Freiheit aber ist Verachtung aller Dinge, die nicht in unserer Macht stehen.» (Epiktet: Handbüchlein der Moral) Als gesellschaftliches Ideal war Freiheit auch immer ein umkämpfter Wert. Das zeigt sich beim Blick auf die Entstehung der antiken Demokratien, in denen sich die Unterschichten über die Jahre Mitbestimmung erfochten – und oft auch wieder verloren. Als Privileg kam Freiheit zudem längst nie allen Menschen zu, insbesondere blieben Frauen und Sklaven von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen.
Das änderte sich auch im Mittelalter nur unwesentlich, wie Hurtado im weiteren Verlauf des Vortrags herausarbeitete. In mittelalterlichen Ständegesellschaften genoss nur eine kleine privilegierte Elite Freiheitsrechte, während die Bauernschaft ein Leben in Abhängigkeit führte. Auch aus religiöser Sicht stellte individuelle Freiheit kein Ideal dar. Die Reformation änderte diese Sichtweise nur vordergründig. Wenn Luther beispielsweise die Freiheit betonte, die sich durch den christlichen Glauben bietet, so bezog er dies einzig auf den individuellen Glauben. Als sich Bauern – inspiriert von Luthers Worten – in den 1520er-Jahren im Deutschen Bauernkrieg von der Feudalherrschaft loszusagen suchten, reagierte Luther scharf und forderte: «man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss» (Martin Luther: Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern).

Der Weg hin zu unserem heutigen Freiheitsverständnis war also noch lang. Eine bedeutende Erkenntnis, die in der Diskussion um den Begriff der Freiheit bis heute prägend ist, lässt sich auf Thomas Hobbes zurückführen, der Mitte des 17. Jahrhunderts Freiheit im Spannungsverhältnis zur Sicherheit in einer Gesellschaft analysierte. Ganz im Dienste der absolutistischen Monarchen seiner Zeit postulierte Hobbes, dass ein zu hohes Mass an Freiheit immer mit einem Verlust an Sicherheit einhergehe und dass es entsprechend legitim sei, Freiheitseinschränkungen politisch durchzusetzen. Die Aufklärung und frühe Menschenrechtskonzepte betonten demgegenüber, dass Freiheit nicht konträr zu weiteren Werten stehe, sondern sich erst im Verbund mit diesen Werten verwirklichen lasse. Der revolutionäre Ruf nach égalité zeigt hier beispielhaft auf, dass es auch ein gewisses Mass an sozialer Gleichheit braucht, damit Freiheitsrechte überhaupt für alle zugänglich werden.
Auch im 20. und 21. Jahrhundert ist die Frage nach der Freiheit alles andere als abschliessend beantwortet. So stellt sich heutzutage insbesondere die metaphysische Frage nach der Freiheit des Willens. Haben wir Menschen – bedingt durch die Gesetze der Physik sowie die Funktionsweise unseres Gehirns – überhaupt die Fähigkeit, freie Entscheidungen zu treffen? Diese Frage zieht Folgefragen, insbesondere in ethischer Hinsicht, nach sich, wie Hurtado zum Schluss des Vortrags aufzeigte, als er über die Diskussion um die Täterschaft im Zweiten Weltkrieg berichtete. Waren die Menschen, die im Zweiten Weltkrieg zu Täter:innen wurden, nur Handlanger totalitärer Regimes? Es wäre beruhigend, diese Frage mit einem simplen «Ja» beantworten zu können, doch historische wie auch psychologische Untersuchungen geben konträre Hinweise. Es waren mitunter «Ganz normale Männer» (vgl. das Buch des Historikers Christopher Browning), die ohne erkennbaren äusseren Druck zu Tätern wurden. Psychologische Experimente wie dasjenige des US-Psychologen Stanley Milgram aus den 1960er-Jahren stützen diese These.

Die von Anna Kisters zum Schluss moderierte Diskussion zeigte auf, dass es sich lohnt, den Begriff der Freiheit auch in unserer Gegenwart immer wieder neu zu bestimmen, denn gerade die technologische Entwicklung kann auch als Bedrohung der menschlichen Freiheit verstanden werden, sei dies im herkömmlichen Sinn, weil die Teilhabe aller Menschen am freien Informationsaustausch im Netz auch eine sozioökonomische Frage ist, oder in Bezug auf die Künstliche Intelligenz, deren unreflektierter Gebrauch neue Abhängigkeiten für Individuen wie auch für ganze Gesellschaften erzeugen kann.
Der nächste KSK-Dialog findet am 16. März 2026 statt. Dr. Mathias Bosshardt, Lehrer für Mathematik und Physik an der KSK, berichtet in der Aula über «Schwarze Löcher – Vom Leben und Sterben der Sterne».

