Mit Sicherheit beginnt Weltoffenheit im Geiste. Doch was nützt es der Welt, wenn Offenheit im Geiste verharrt? Vermutlich nicht viel. Und so begab sich die Kantonsschule Kreuzlingen vor rund zwei Jahren – damals noch im Geiste – auf eine lange Reise hinaus in die Welt: Wir wollten Teil des globalen Netzwerks UNESCO-assoziierter Schulen werden. Hier folgt ein Etappenbericht dieser Reise.
Marcello Indino
Dem 1953 von der UNESCO ins Leben gerufene Netzwerk der UNESCO-assoziierten Schulen gehören heute über 11’000 Bildungseinrichtungen aller Stufen in rund 180 Ländern an. Ziel des Netzwerks ist es, ein Beitrag zur Friedensförderung, zur Wahrung der Menschenrechte sowie zur Verständigung der Kulturen zu leisten. Daneben hat sich das Netzwerk der Umsetzung der UNESCO-Agenda 2030 der nachhaltigen Entwicklung verschrieben. Und genau an diesem Punkt setzte unsere Reise an.
17 Ziele in 13 Klassen
Als wir der schweizerischen UNESCO-Kommission des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten unser Beitrittsbegehren unterbreitet haben, erhielten wir fast postwendend (ergo nach rund drei Monaten!) Rückmeldung: Wir sollten uns für zwei der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNESCO-Agenda 2030 entscheiden und darlegen, wie wir uns als Schule dafür einsetzen wollen.
Statt diese zwei Ziele im stillen Kämmerchen zu bestimmen, hat sich unsere Arbeitsgruppe UNESCO, der Johanna Feil und Michael Volkart angehören, Artikel 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 zu Herzen genommen: «Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes [oder eben seiner Schule] unmittelbar [..] mitzuwirken.» Und so initiierten wir innerhalb der Schülerschaft der KSK einen partizipativen Prozess, um festzulegen, welche zwei Ziele unseren Schülerinnen und Schülern besonders wichtig sind.
Im Frühling 2022 zog die Arbeitsgruppe UNESCO, verstärkt durch Prorektor Daniel Hurtado, während mehrerer Wochen durch die ersten bis dritten Klassen der KSK. In einem Workshop stellten wir die 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung der UNESCO-Agenda 2030 vor – um festzustellen, dass viele Klassen diese aus dem Unterricht bereits bestens kannten. Die Schülerinnen und Schüler wählten dann in Gruppen daraus Ziele aus, die ihnen besonders wichtig erschienen und zu denen die KSK einen realen Beitrag leisten könnte. Nachdem die Gruppen ihre Resultate vorgestellt hatten, stimmten wir darüber ab, welche zwei Ziele sich die Klasse verschreiben würde und sammelten weitere Ideen, wie diese innerhalb unserer Schule gefördert werden könnten.
Das Bild, das sich am Schluss aus den Rückmeldungen der Klassen ergab, war eindeutig: Einerseits wurde keines der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung als unwichtig erklärt, aber andererseits sah man in zwei Ziele besonderes Wirkungspotenzial im Rahmen der Möglichkeiten der KSK: Nachhaltige Energienutzung sowie nachhaltige Konsumketten.
Bezüglich nachhaltiger Energienutzung sei anzustreben, dass sich die Kantonsschule Kreuzlingen verstärkt in Richtung einer smart school bewege, was durch Informationskampagnen begleitet werden soll. Daneben soll das bestehende Abfalltrennungskonzept weiter ausgebaut werden und, wo tatsächlich sinnvoll, verstärkt auf digitales Arbeiten gesetzt werden.
Unsere Mensa stand wiederum hinsichtlich nachhaltiger Produktion und nachhaltigem Konsum im Zentrum: Der Einkauf der Lebensmittel sei möglichst regional auszurichten und food waste sei unbedingt zu vermeiden. Daneben soll Wiederverwertung – von Abfall wie auch von noch nützlichen Produkten – stärker thematisiert werden.
25 Seiten später
Alle Inputs aus den Workshops wurden von der Arbeitsgruppe UNESCO gesammelt und strukturiert, so dass der schriftliche Bewerbungsprozess beginnen konnte. Neben Formularen mit Fragen rund um die Strukturen und die Organisation der KSK stellten wir ein Überblicksdokument unserer bisherigen Aktivitäten in Zusammenhang mit den Zielen der UNESCO zusammen. Diese Übersicht deckte sowohl Aktivitäten innerhalb wie auch ausserhalb des Unterrichts ab, die von unseren Lehrpersonen vorangetrieben werden. Die Fülle an Rückmeldungen war beeindruckend! Am Schluss entstand ein Bewerbungsdossier, das rund 25 Seiten umfasste und sich in den Kategorien Menschenrechte, Chancengleichheit und Partizipation, Gewaltfreiheit und Friedensförderung, interkultureller Austausch und internationale Zusammenarbeit sowie Pressefreiheit gegliedert war.
Das formale Beitrittsgesuch und die dazugehörige Dokumentation ging noch im Frühling 2022 an die schweizerische UNESCO-Kommission des Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, die es nach interner Prüfung validierte – und im Sommer 2022 an den UNESCO-Hauptsitz nach Paris weiterleitete. Und dann begann das grosse Warten, mit einer inspirierenden Zwischenetappe.
Zwischenetappe Neuchâtel
Im Mai 2023 durfte ich als Vertreter eines Beitrittskandidaten der jährlichen Tagung der Schweizer UNESCO-assoziierten Schulen beiwohnen. Die Tagung fand in Neuenburg und im nahegelegenen archäologischen Park Laténium statt. Während zwei Tage stellten verschiedenen Schulen ihre Projekte vor; darunter das Gymnasium Burggraben in St. Gallen, das Literargymnasium Rämibühl in Zürich oder das Gymnasium Kirchenfeld in Bern.
Ebenso erhielten die Stiftung eduki, die sich seit der Gründung 2011 die Sensibilisierung der Jugendlichen für die Arbeit der internationalen Organisationen und für die internationale Zusammenarbeit zum Ziel gesetzt hat, sowie movetia, die Austausch und Mobilität in der Bildung fördert, eine Plattform, um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Mit diesen zwei Organisationen hat die KSK in den letzten Jahren bereits einiges im Bereich der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit realisieren können: Im Rahmen des eduki-Wettbewerbs entstand bei uns testweise ein Swap Shop sowie ein nachhaltiges Kaffeeangebot. Und dank movetia kann etwa unser jährlicher Austausch mit dem Partnergymnasium im süditalienischen Cisternino stattfinden.
Vieles an jenen zwei Tagen war inspirierend und lieferte neue Ideen. Aber ebenso vieles bestätigte, dass unsere Kandidatur mehr als berechtigt war: Die Kantonsschule Kreuzlingen treibt bereits jetzt einige Projekte voran, die jenen der schon assoziierten Schulen in nichts nachstehen. Gerade unsere Arbeitsgruppe Klima hat in den letzten Jahren viele Projekte umgesetzt, die sich mit den Zielen nachhaltiger Entwicklung – gerade im Bereich der Energienutzung und der Konsumketten – decken. Ein Überblick hierzu findet sich ab Ende August auf folgender Webseite: nachhaltige.ksk.ch.
Zieleinfahrt im Sommer 2023
Dass wir an sich schon seit langem auf UNESCO-Kurs sind, wurde in den Sommerferien formal auch durch die Schweizerische UNESCO-Kommission des Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten bestätigt, die uns eine Meldung aus Paris weiterleitete: Die UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay habe unser Beitrittsgesuch gutgeheissen – die Kantonsschule Kreuzlingen ist ab sofort Teil des weltweiten Netzwerkes UNESCO-assoziierter Schulen!
Nun soll die Arbeitsgruppe UNESCO durch Schülerinnen und Schüler ergänzt werden, denn es erwarten uns zwar viele Möglichkeiten, aber wohl auch einiges an Arbeit. In Zuge der nun beginnenden Überarbeitung unseres pädagogischen Leitbildes sollen die Werte der UNESCO explizit verankert werden. Nach dieser eher dokumentarischen Aufgabe, können schulische wie auch ausserschulische Projekte organisiert und durchgeführt werden, die einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung gemäss UNESCO-Agenda 2030 leisten. Bei uns stehen, wie beschrieben, nachhaltige Energienutzung und nachhaltige Konsumketten im Vordergrund.
… und Weiterreise
Für unsere Schülerinnen und Schüler zusätzlich und vielleicht besonders spannend ist die Möglichkeit, künftig an nationalen und internationalen Kongressen teilzunehmen, die von der UNESCO unterstützt werden, um deren Werte zu fördern und zu bewahren. Und es steht uns offen, ob wir Patenschaften für und Partnerschaften mit anderen assoziierten Schulen weltweit eingehen wollen, um mit ihnen eine Kooperation einzugehen. Eine solche Partnerschaft hat etwa die Kantonsschule Solothurn mit dem Collège Ousmane Ngom in Senegalesischen Thiès 2007 initiiert und den Verein unos con otros ins Leben gerufen, der Standaktionen, Filmabende Benefizkonzerte und weiter kulturelle Anlässe organisiert. Dazu gehören regelmässige Reisen nach Senegal der Vereinsmitglieder. Reisewege, die nun auch der Kantonsschule Kreuzlingen offenstehen.