Gefängnisse kennen die meisten von uns zum Glück nur von aussen. Doch wie sieht der Alltag in einem Schweizer Gefängnis aus? Warum kommt jemand ins Gefängnis und wozu dient die Zeit hinter Gittern? Bei einem Besuch im Kantonalgefängnis Frauenfeld (KG Frauenfeld) konnten die Schülerinnen und Schüler des Ergänzungsfachs Philosophie auf diese Fragen Antworten finden.
Michael Volkart
Wer das KG Frauenfeld betritt, muss ein mehrstufiges System von Sicherheitsschleusen durchschreiten. Erst nachdem sich hinter einem die Tür geschlossen hat, öffnet sich die Tür zum nächsten Raum. Von der Anmeldung geht es weiter zur Sicherheitskontrolle. Ein Metalldetektor überprüft, ob keine verbotenen Gegenstände, zum Beispiel Mobiltelefone, mitgeführt werden. Hinter der nächsten Schleuse warten dann die Besucherräume. Häftlinge können hier während einer Stunde je Woche ihre Angehörigen treffen – je nach Sicherheitsbestimmungen in einem offenen Besuchszimmer oder in einem durch eine Glasscheibe getrennten Raum. Während die Besuche der Angehörigen an diesem Punkt enden, geht unser Gefängnisbesuch nun erst richtig los. Wir betreten den Häftlingstrakt, besichtigen die verschiedenen Zellentypen und lassen uns versuchsweise in einer der spartanisch eingerichteten Zellen einschliessen – ein beklemmendes Gefühl tritt ein, als die schwere Tür sich schliesst und die Metallbolzen hörbar ins Schloss gekurbelt werden. Schnell wird klar, dass der Gefängnisleiter recht hat, wenn er sagt, dass der oft gehörte Vorwurf der Kuscheljustiz nicht zutreffend sei.
Vergeltung als Leitlinie
Wer ein Verbrechen begangen hat, wird dafür bestraft. Dies mag uns selbstverständlich erscheinen, doch aus rechtsstaatlicher Sicht bedarf es einer Begründung. Einer traditionellen, bis in die Antike zurückgehenden Denkschule zufolge liefert die Idee der Vergeltung diese Begründung: Wer etwas Schlechtes getan hat, dem oder der soll ebenfalls etwas Schlechtes widerfahren. Die Richtschnur, nach der sich die Höhe einer Strafe bemisst, liefert dabei das Prinzip der Gleichheit von Straftat und Bestrafung. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant hält dazu fest: «Was für unverschuldetes Übel du einem anderen im Volk zufügest, das tust du dir selbst an.» Als Teil der gemeinsamen Rechtsordnung ist also – so meint Kant – jeder Mensch dazu verpflichtet, sich an diese Ordnung zu halten.
Warum es Strafe gibt und braucht
Welchen Nutzen hat es aber für eine Gesellschaft, wenn jemand bestraft wird? Im 19. Jahrhundert setzte sich die Idee durch, dass staatliches Handeln den allgemeinen Nutzen befördern soll. Vergeltung galt fortan als wenig sinnvoll, denn eine Strafe allein macht die Welt nicht besser, sondern sie fügt zum Übel der Tat noch das Übel der Strafe hinzu. Dem Prinzip der Vergeltung wurde deswegen zunehmend das Prinzip der Prävention entgegengestellt. Genau in ihrem präventiven Wesen nämlich kann eine Strafe durchaus nützlich sein – indem sie das Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung stärkt und diese davon abhält, ähnliche Delikte zu begehen, aber auch indem sie den Täter oder die Täterin als funktionierendes Gesellschaftsmitglied resozialisiert und ihn oder sie davon abhält, die Tat zu wiederholen. Das Schweizer Strafgesetzbuch betont in diesem Zusammenhang in Artikel 75 vor allem den Gedanken der Resozialisierung: «Der Strafvollzug hat das soziale Verhalten des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben.»
Ein menschenfreundliches Gefängnis?
Im weiteren Verlauf unseres Besuchs im KG Frauenfeld wird uns klar, wie gross hier die Bemühung ist, diese Resozialisierung zu ermöglichen. Es sind viele kleine Dinge, die in der Summe dazu beitragen. So werden beispielsweise die Räumlichkeiten von den Häftlingen selbst sauber gehalten. Anliegen von Häftlingen werden in sogenannten «Hausbriefen» an die Gefängnisleitung übergeben, geprüft und es wird ihnen im Rahmen der Möglichkeiten entsprochen. Für den Gefängnisleiter ist klar: «Respekt beruht auf Gegenseitigkeit.» Ein Anliegen des Gefängnisleiters ist es darum, alle Häftlinge in ihrer Landessprache ansprechen zu können – bei aktuell 37 Nationen kein leichtes Unterfangen. Doch die Bemühungen zahlen sich aus. Innert weniger Jahre konnten damit die gewalttätigen Vorfälle innerhalb des Gefängnisses, die zu Arrest in Spezialzellen führen, um rund 80 Prozent gesenkt werden. Zum Schluss unseres Rundgangs treffen wir in einem kleinen Raum auf eine Gruppe Häftlinge, die gerade den Sprachunterricht besuchen. Es sei kein guter Ort, an dem sie sich befänden, gibt uns einer der Gefangenen zu bedenken. Ein zweiter Häftling fügt – gleichsam als Warnung – hinzu: «You’ll all be here one day.» Er bestätigt damit, was uns der Gefängnisleiter bereits zu Beginn unseres Besuchs gesagt hat: Vor einer Straftat ist niemand gefeit. Es sind meist keine schlechten Menschen, die im Gefängnis sitzen – viel mehr ist ihnen einfach in einer Phase ihres Lebens das Glück abhandengekommen.